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Biographisches von Claus Schenk Graf von Stauffenberg
Chronologie des 20. Juli 1944
Familie + Attentat
Lagebaracke in der Wolfsschanze
Bildergalerie
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Melitta Schenk Gräfin von Stauffenberg
Nikolaus Graf von Üxküll-Gyllenband
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Gedenkstätte Lautlingen
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Impressum



Das Tagebuch der Mutter...

Caroline Schenk Gräfin von Stauffenberg ließ ihr Tagebuch aus den Jahren 1944 bis 1945 von Luitgard Klöckner abtippen. Es wurde später mehrfach veröffentlicht unter anderem auch von Dr. Peter Thaddäus Lang.

Das Original-Manuskript liegt dem Webmaster als Kopie vor. Der besseren Lesbarkeit aber, möchte ich es vorziehen die Ausgabe des Albstädter Stadtarchivars, Herrn Dr. Peter Thaddäus Lang ins Netz zu stellen. Einige kleine Anfügungen (Daten u.ä.) habe ich selbst vorgenommen.

Sichtweisen...

Tagebuch

Stauffenberg

Peter Thaddäus Lang

Schwerste Zeiten



Gräfin Caroline von Üxküll-Gyllenband, geboren 7. April 1875 in Wien, stammte aus uraltem baltischen Adel. Ein Zweig der Familie kam im 18. Jahrhundert nach Süddeutschland, wo dann wiederholt einzelne Angehörige des Geschlechts am württembergischen Hof zu finden sind - so auch Caroline als Hofdame der Königin Charlotte.


Am 30. Mai 1904 heiratete sie den dortigen Oberhofmarschall Graf Alfred von Stauffenberg, und schon bald stellte sich Kindersegen ein: Am 15 März 1905 die Zwillingsbrüder Berthold und Alexander und am 15 November 1907 Claus und sein gleich verstorbener Zwillingsbruder Konrad. 37 Jahre später verloren die Brüder Berthold und Claus ihr Leben bei dem Versuch, der Hitler-Diktatur ein Ende zu setzen.


Theodor Pfizer, ein Schulfreund der Stauffenberg-Brüder und später Oberbürgermeister der Stadt Ulm, beschrieb 1975 das Wesen der Gräfin Caroline gleichermaßen einfühlsam wie kenntnisreich:

„.. . Sie flüchtete aus dem Zwang des Hoflebens immer wieder in ihre eigene Welt zu Goethe und Shakespeare, zu den Dichtern der Zeit. Als sie nach dem 20. Juli 1944 viele Monate in streng bewachter Gefängniszelle festgehalten wurde, zunächst auch ohne Bücher, hat sie sich selbst aus der Erinnerung weite Stellen goethischer Lyrik, Hamlet- und Faustmonologe vorgesprochen. Und sie, jahrelang Hofdame der Königin mit den täglichen Pflichten der Konvention, hat nach ihrem eigenen Geständnis nie eine letzte Platzscheu überwunden, fühlte sich bei aller souveränen Beherrschung auch schwieriger Situationen nicht ganz frei von Hemmungen. Neben dem, was sie der Stellung und dem Amt ihres Gatten zu geben hatte, war sie vor allem und zu allen Zeiten die Mutter ihrer Söhne. Sie hat an sie geglaubt, auch wenn sie ihre Wege nicht immer verstand. Sie war als Protestantin der religiösen Erziehung ihrer katholischen Kinder voll tiefen Vertrauens zugetan. Sie scheute keine Aussprache mit Lehrern und Freunden, sie hat in Heidelberg George (deutscher Dichter, 1868-1933, mit den Stauffenberg-Brüdern befreundet - Anm. des Herausgebers) aufgesucht, um sich selbst beruhigend Gewissheit zu geben über die Bindungen des Kreises; sie hat die Bücher gelesen, die in ihrer stürmischen geistigen Entwicklung die Söhne beschäftigten, und sie hat die Tat des 20. Juli und alle aus ihr entspringenden, trauervollen Geschehnisse klaglos in königlicher Würde und in letztem Einverständnis mit ihren Söhnen bejaht.


Diese hochgebildete und feinsinnige Frau hielt auf wenigen Schreibmaschinenseiten fest, wie sich ihre Lebensverhältnisse nach dem 20. Juli gestalteten.

Zum besseren Verständnis hat der Herausgeber dem hier nun folgenden Text in Klammern erläuternde Bemerkungen hinzugefügt:


Meine Enkel sollen einst wissen, wie schön und mutig Lautlingen sich benommen hat in der schweren und schwersten Zeit Sommer und Winter 1944/45. Man wird sich ja in späteren Zeiten nicht vorstellen können, welcher Terror während des Hitlerregimes geherrscht hat, und wie jede Opposition in Wort und Tat ein todeswürdiges Verbrechen bedeutete.


Am 20. Juli 1944 erfuhren wir durch Radio von einem auf Hitler ausgeübten Attentat. Mika (Ehefrau von Carolines ältestem Sohn Berthold, geb.1900, gest. 1977), die kurz vorher aus Berlin zurückgekommen war, war wohl gleich sehr erschrocken, aber ich ahnte nichts. Freitag früh sagte mir der Mechaniker Leibold (es handelt sich höchstwahrscheinlich um den Lautlinger Schmied Josef Leibold, geb. 1908, gest. 1990) im Garten, er habe in der Krone gehört, dass ein Stauffenberg darin verwickelt war. Nux (Nikolaus Graf Üxküll-Gyllenband, österreichischer Generalstabsoffizier, geb. 1878, gest. 1944 als Widerstandskämpfer, Bruder von Caroline) ging gleich

hin und hörte dieselbe Meldung noch einmal. Nun war es klar, dass Claus es getan hatte und schon in der Nacht erschossen worden war.


Nux sagte nur: „Vergiss nie, er hat es in der höchsten Pflichterfüllung getan."


Freitag und Samstag vergingen ganz ruhig. Mika reiste nach Berlin ab, die Kinder und ich hatten ihr vom Thierberg (stauffenbergisches Anwesen in der Nähe von Lautlingen) noch viele Lebensmittel beschafft. Sie konnte aber doch niemand mehr helfen oder bestechen, denn nach einer Stunde wurde sie verhaftet.


In der Nacht vom Samstag auf Sonntag kam Gestapo mit großer Bedeckung und führte nach einigen Verhören Nina (Nina Freiin von Lerchenfeld, geb. 1913, Ehefrau des Widerstandskämpfers Claus von Stauffenberg) und Nux zunächst in das Gefängnis nach Rottweil ab. Sonntag abend kam wieder die Gestapo und führte Ullas (Alexandrine Gräfin von Üxküll-Gyllenband, geb. 1873, Rotkreuz- Oberin, gilt als deutsche Elsa Brandström, Schwester von Caroline) und mich in zwei Autos nach Balingen in Einzelhaft.


Dies müssen die Lautlinger wohl als unabwendbar hingenommen haben. Aber als man Mitte August auch die Kinder alle verschleppte, soll ihre Wut und ihre Entrüstung grenzenlos gewesen sein.


Trotz Bewachung vor Schloss und Toren kam German Götz, der damalige Bürgermeister (er hatte dieses Amt 1942 bis 1946 inne), zweimal Hupa (Ida-Huberta, geborene von Pfaffenhofen-Chledowsky, die Ehefrau von Carolines Bruder Nikolaus) besuchen. Manche wollten auch mich im Amtsgerichtsgefängnis besuchen, aber da sie es nicht durften, haben sie mir später Obst, Kuchen und Honig geschickt. Ich hätte so gerne mit den jungen Franzosen geteilt, aber es wurde alles streng verboten. Sie sahen aus ihren niedrigen Fenstern, wenn ich allein im Hof spazieren ging, und fragten voll Teilnahme und Verwunderung, warum ich eingesperrt war.


Hier war schon in der ersten Woche nach dem Attentat ein Essigfabrikant zu Frau Blutbacher (Frieda Blutbacher, geb. 1893, gest. 1960, führte in Lautlingen ein kleines Lebensmittelgeschäft) gekommen und wollte Stimmen sammeln gegen Stauffenberg. Da antwortete sie ihm: „Um die paar Lumpen, die hier nicht für die Herrschaft sind, um die ist es nicht schad, da brauchen Sie sich gar keine Mühe zu geben." Sie war so aufgebracht und so ausfallend, dass ihr Mann sie ermahnen musste, doch etwas vorsichtiger zu sein.


Ullas wurde nach sechs Wochen entlassen, durfte sich aber nicht von mir verabschieden. Sie freute sich so auf die Kinder, fand sie aber nicht mehr vor, nur Hupa und Dusi (eigentlich Olga; Tochter von Carolines Bruder Nikolaus) waren noch hier. Aber Litta (Melitta Schiller, verheiratete von Stauffenberg, Ehefrau von Carolines zweitem Sohn Alexander) erschien plötzlich wie ein Wunder aus Nacht und Dunkel. Sie hatte sich vermöge ihrer wichtigen Arbeiten nach sechs Wochen Haft ihre Freiheit verschafft. Durch zwei Verhöre hatte ich schon erfahren, dass die ganze Familie, auch Wilflingen und Jettingen (gemeint sind die dort ansässigen Zweige der Familie Stauffenberg), in Gefängnissen war und dass Güter und das ganze Vermögen beschlagnahmt waren. Aber sonst wusste ich nichts. Als Frau Schöllmann (eine ausgebombte Rheinländerin, mit der Familie Stauffenberg befreundet) in tiefster Dunkelheit kam, mir den Besuch einer Schwiegertochter anzumelden, kam es mir wie ein unmögliches, gottgesandtes Märchen vor.

Litta kam und erzählte mir, dass die Kinder verschleppt und dass mein alter Schwager mit 85 Jahren auch in Einzelhaft in Nürnberg und später in Würzburg saß (Berthold von Stauffenberg, geb. 1859, gest. 1944 im Gefängnis). Die Kinder waren am 17. August fortgekommen. Sie waren natürlich zuerst sehr erschrocken und baten so dringend, dass Esther (Kindermädchen der Gräfin Nina) oder Mali (Amalie, Haushälterin im Schloss) mitkommen sollten, was natürlich abgelehnt wurde. Alfred (* 8.11.1937, + 28.10.1987, Sohn von Carolines ältestem Sohn Berthold) soll den Abschied am schwersten genommen haben, aber Berthold (geb. 1934, ältester Sohn von Claus) soll gleich mit großer Umsicht die Führung übernommen haben, und so hat die kleine Schar in glänzender Haltung Stuttgart passiert. Mali hatte die sechs Kinder noch zum Pfarrhof geführt, wo ihnen der Pfarrer mit Tränen in den Augen den Segen erteilte vor ihrer Abfahrt in das unbekannte Land.


Ende Oktober kamen nun auch die Letzten der Familie von Lautlingen fort. Hupa durfte zu ihrer Tochter nach Bayern, aber Ullas und Dusi durften nicht in der Umgegend bleiben, sondern mussten auf Befehl der Gestapo in das von ihr beschlagnahmte Schloss nach Jettingen (Hauptsitz der gräflichen Stauffenberg-Linie).

Ich kam entgegen allen Erwartungen am 2. November hier in ein leeres Haus zurück. Es füllte sich aber bald mit acht Gestapo-Familien und elf Kindern. Ich war nun wieder in Einzelhaft und es durfte niemand mit mir sprechen. Da sich aber manche Krankheit in den Familien ergab, hatten die Barmherzigen Schwestern Zutritt in das Haus, und so konnte Schwester Jovilla (Schwester Jovilla Fränkel vom Orden der Vinzentinerinnen, damals im Lautlinger Haus der Barmherzigen Schwestern) mich oft heimlich besuchen. Der erste, der sich sonst aus dem Dorf hereinwagen konnte, war Hagg (Franz Hagg, geb. 12.11.1888, gest. 1967, Elektriker in Lautlingen), denn er konnte sich im Notfall mit Reparaturen an meinen Lampen herausreden. Im ganzen haben sich die Familien im Hause anständig betragen - besonders eine junge Belgierin hat sich oft durch das Badezimmer zu mir herein­geschlichen, um sich Bücher hei mir zu holen. Sie hat dann später, als sie glücklich in Belgien gelandet war, noch öfters von sich hören lassen.

Obwohl Frau Alber (Rosa Alber, geb. 1881, gest. 1952, Posthalterin in Lautlingen) immer Mittel und Wege fand, mir meine Post zuzustellen, trotz Einspruch meines Wächters, vergingen doch die Wochen vor Weihnachten in quälender Ungewissheit. Ich hatte zwar von allem Anfang an gewusst, dass Berthold verloren war, so erfuhr ich doch erst im Dezember, dass sein Schicksal und das von Nux längst besiegelt war. Nach Weihnachten erhielt ich einen sehr beruhigenden Brief von Litta über den Verbleib der Kinder. Sie hat es mit vieler Mühe durchgesetzt, die Kinder besuchen zu dürfen, aber sie durfte nicht sagen, wo sie unterge­bracht waren. Heimeran (geb. 1936; Zweitältester Sohn von Claus) hatte Scharlach und bekam einen extra Christbaum, und sagte zu Litta, das schönste Weihnachtsgeschenk sei, dass sie selbst gekommen sei.


In all diesen Monaten war die Treue und Fürsorge der Lautlinger ein großer Trost. Da niemand in den Hof durfte, brachten sie am Abend Milch, Eier und Butter in die Kirche mit, wo Amalie (auch „Mali" genannt; Haushälterin im Lautlinger Schloss) es in Empfang nehmen konnte. Im Lamm (ehemaliges Gasthaus unterhalb des Schlosses, in der Ortsmitte) hörte sie meistens die neuesten Nachrichten, so dass ich wusste, was in der Welt vor sich ging. Da sich nun bei schönem Wetter im Hof die Geselligkeit immer steigerte und es oft ein reiner Wirtshausbetrieb war, bat ich von Schmidt (Carolines Gestapo- Bewacher) die Erlaubnis, im Rad-Garten Luft schöpfen zu dürfen. Da entspann sich nun mit meinem Nachbarn Hagg und mit dem Rad manches Gespräch am Zaun bei einbrechender Dunkelheit. Sie sahen schon damals alle die Hoffnungslosigkeit der deutschen Lage und freuten sich damals auf die „Befreiung" durch den Feind. Nach der ersten Kommunion der jüngsten Tochter (Maria) hat Frau Hagg (Emma Hagg, geb. 1896, gest. 1986) sich mit der kleinen Kommunikantin hinten hineingeschlichen und brachte mir Kuchen von ihrem Fest.

Da sich 1945 die Fliegerangriffe sehr häuften, wurden hier im Hof, im Rad-Garten (Garten der Familie Huber zum Rad hinter dem Schloss) und im Berken-Garten (Vom Flurnamen "auf Berken", vergleichbar mit dem Standort des Schulhauses) fieberhaft Bunker gebaut. Ebingen hatte schon gelitten. Laufen war furchtbar zerstört (Fliegerangriff am 22. Februar 1945), nur Lautlingen war bisher verschont geblieben. So bildete sich hier die Legende, dass Lautlingen nicht angegriffen würde wegen dem Namen Stauffenberg. Umso schwerer waren die letzten Tage, da in den Gemeinde-Sitzungen die Übergabe Lautlingens besprochen wurde. Der Hauptmann erklärte, das käme nicht in Frage, da Lautlingen sich zu Stauffenberg gehalten hätte. Auch wurde im Haus ein Telefon meines Wächters überhört, der militärische Verstärkung erbat, weil dieses „schwarze Nest" ruhig vernichtet werden könne. In diesen letzten Wochen sollte ich noch weggebracht werden. Da ließen mir die Lautlinger sagen, ich sollte mich zu Bett legen, und schickten mir einen Arzt, der meine Transportunfähigkeit erklären sollte, was er auch ohne weiteres tat. Sollte ich mit Gewalt verschleppt werden, wollten sie das Auto im Dorf aufhalten. Mina Maute (Hausangestellte im Lautlinger Schloss) kam damals am Abend um 11 Uhr noch zu mir, ich sollte mit ihr über die Felder nach Margrethausen fliehen und mich dort bei Schaut (vermutlich Klemens Schaut, Bürgermeister von Margrethausen 1925-1945) versteckt halten, bis der Feind käme. Ich konnte aber dieses rührende Angebot nicht annehmen, da ich doch damit beide Dörfer in Gefahr gebracht hätte.

Inzwischen hatte wohl Schmidt (der Gestapo-Mann, der Caroline bewachte) den Mut verloren, seinen Auftrag auszuführen, denn German Götz (Lautlinger Bürgermeister 24. 4. 1945 - 20. 9. 1946) hatte zu ihm gesagt: „Wenn der Frau Gräfin etwas passiert, bin ich ein toter Mann, aber Sie kommen mit dem Leben bestimmt auch nicht davon." Da er im Dorf, in der Kirche und im Lamm noch andere Äußerungen hören musste, die von unserer Zusammengehörigkeit zeugten, hat er wohl seine Ansicht revidieren müssen, als stünde die Bevölkerung immer im Gegensatz zur Aristokratie. Manche Hausbewohner wollten sich damals schon einschalten, versuchten das Telefon abzuhören und wollten in der Nacht das Dorf alarmieren, falls hier etwas passieren sollte. Auch haben sich französische Gefangene mit den Lautlingern abgewechselt, um das Haus zu bewachen. Sie fürchteten, dass es in die Luft gesprengt werden sollte. So wollten sie mir in der Nacht Schwester Jovilla (Vinzentinerin vom Lautlinger Haus der Barmherzigen Schwestern) schicken, dass ich mich bereit halten sollte. Sie kam aber nicht mehr unbemerkt durch, und so machten wir am nächsten Tag aus, dass sie in der Nacht unter meinem Fenster rufen sollte, wenn sie mich warnen wollte.

Der Feind rückte nun immer näher heran und man musste sich darauf gefasst machen, dass der Krieg über Lautlingen gehen würde. So hat das ganze Haus in der Nacht vom 20. April seine Wertsachen in den Keller verstaut. Auch ein Hauptmann hatte schon angefangen, den hohen Viadukt unten anzubohren. Als sich aber das halbe Dorf dort versammelte und flehentlich um Schonung bat, entschloss er sich am Kriegstag, nur die kleine Überfüh­rung zu sprengen. Dies war die einzige Detonation, die wir am Kriegstag erlebten. Der Bürgermeister hatte offenbar der französischen Armee einen Gefangenen entgegengeschickt, und so war der Feind in die Höhen marschiert und hatte Lautlingen umgangen. Um die Sperren waren in den letzten Tagen große Kämpfe, und wer die weißen Fahnen hisste, wurde glatt erschossen. Nachdem die Franzosen nun die Herren des Landes waren, wagte sich Lili (Melitina) Podolinsky (von Alexandrine Üxküll-Gyllenband mütterlich gefördert) auch zu mir und bot mir ihre Hilfe an. Sie hatte sich aus Igls aufgemacht und in der hiesigen Umgegend versteckt gehalten, bis sie es wagen konnte, hier im Hof zu erscheinen. Da ich alles, was zu mir kam, auch die ersten Führer der Franzosen, in meinem kleinen Ankleidezimmer zwischen Wasch- und Toilettentisch empfangen musste, war es eine gute Abwechslung, dass sie sich im Turm sehr gemütlich einrichtete, wo wir dann manchmal unsere Mahlzeiten einnehmen konnten. Theodor Pfizer (Schulfreund ihrer Söhne; später Oberbürgermeister der Stadt Ulm) war dort mein erster Gast.

Aber vorher sollten noch manche Schrecknisse über das Dorf gehen. In weiser Voraussicht wurde zu mir (in das Schloss) ein Lazarett gelegt mit etwa 12 Verwundeten und Kranken, und zu den Barmherzigen Schwestern ein Altersheim. Die Rote- Kreuz-Fahne wehte über den Dächern, und eine Wache wurde im Hof aufgestellt, die dieses Haus und die Schwestern beschützen sollte. Die Marokkaner ergossen sich über das Dorf, und Plünderungen und Vergewaltigungen waren ihre Losung. Das Dorf suchte zum großen Teil Schutz bei mir, und so fanden während vier Nächten 600 bis 700 Menschen hier ihre Zuflucht. Die Gänge, die Zimmer, die Bühnen, alles war mit Menschen gepflastert. Wenn man mitten in der Nacht einige Runden machte, musste man über schlafende Menschen treten. Gegen Abend war der Pfarrer durch alle Zimmer gegangen, um den vielen Aufgeregten Trost und Mut zuzusprechen. Es war eben schon manches geschehen, ehe die Bevölkerung hier ihre Zuflucht suchte.

Die französischen Arzt waren sehr hilfreich und gewissenhaft. Sie bestimmten hier in den unteren Räumen, welche Fälle gleich nach Ebingen gebracht werden mussten. An einem Abend war der junge Oswald (Otto Oswald, geb. 1912, gest. 1945 durch die besagte Kopfwunde) mit schwerer Kopfwunde hier hereingebracht worden und lag im Esszimmer auf dem Tisch. Mit dem sehr aufgeregten marokkanischen Sanitäter war keine Verständigung möglich - wir mussten ihn nach Ebingen in das Krankenhaus bringen, wo er noch in derselben Nacht starb.

In diesen Wochen war man hier ohne jede Nachricht von außen. Auch von den Kindern war seit Weihnachten keine Kunde mehr durchgekom­men. Hatte man sich die letzten Monate auch schon immer um ihr Schicksal gebangt, so stieg natürlich bei diesen tödlichen Fliegerangriffen die Unruhe und Sorge um sie immer mehr. Lebten sie noch? Wo waren sie untergekommen? Würde man sie je wiederfinden?

Von Ullas (Carolines Schwester Alexandrine) und Dusi (Carolines Nichte Olga) wusste ich auch nichts mehr. Man hörte hier nur, der Krieg sei über Jettingen gegangen. Schloss und Markt seien abgebrannt. Auch um Litta (Melitta Schiller verh. von Stauffenberg, Ehefrau von Carolines Zweitältestem Sohn Alexander, eine tüchtige und weithin bekannte Fliegerin) war ich in banger Sorge, wusste man doch, dass ihr erstes sein würde, sich hierher durchzuschlagen, um zu sehen, was noch von Lautlingen übrig wäre. Erst Ende Mai, als Lili ein Auto ausfindig machte, um das Schicksal von Ullas in Jettingen zu erforschen, erfuhren wir, dass Litta Anfang April bei Straubing abgeschossen worden war. Sie war immer unterwegs gewesen, um Alex (Carolines Sohn Alexander, geb. 1905, Ehemann Melittas) und die übrige Familie in den verschiedenen Lagern aufzusuchen, um sie so viel als möglich mit Nah­rungsmitteln zu versorgen. Nun war sie nach Potsdam geflogen, den schwerkranken Klemens (Klemens Graf von Stauffenberg, geb. 1885, gest. 1949, Vetter von Claus) zu retten, und auf dem Rückweg von Guttenberg wollte sie über Buchenwald kreisen, um der dort inhaftierten Familie zur Kenntnis zu geben, dass ihr Flug geglückt war. Da sie Buchenwald leer fand, wollte sie nach dem Verbleib der Familie suchen, und wurde wohl auf diesem Erkundungsflug von ihrem Schicksal ereilt. Ein Opfer ihrer großen Hingabe an die Familie.

In dieser Zeit der allgemeinen Unsicherheit wollte mir Hoffmann, Direk­tor von der Staatsbibliothek (Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, deren Leiter war Prof. Dr. Wilhelm Hoffmann von 1945 bis 1969), Briefe aus Bebenhausen bringen. Nach den langen bangen Monaten hätte mir dieses Lebenszeichen von der Königin (Charlotte, letzte Königin von Württemberg; Caroline war Hofdame bei ihr) und von Elsa Falkenstein (Freundin von Caroline) unendlich viel bedeutet. Aber die Wälder waren damals zu unsicher. Er konnte nicht riskieren, die Briefe in fremde Hände fallen zu lassen, so musste er sie vernichten. Schon im November war er unter großen Schwierigkeiten zu mir durchgedrungen, um den George-Nachlass zu retten. Der Meister (so pflegte George von seinen Verehrern genannt zu werden) hatte ihn Berthold anver­traut, ihn zu sichten und in Lautlingen unterzubringen, bis ruhigere Zeiten kämen. Aber obwohl alles an Ort und Stelle war, als ich am 2. November vom Gefängnis kam, war es heimlich in der Nacht entfernt worden, während meines Hierseins.

Noch im April war die ganze Gestapo hypnotisiert von dem Glauben an die Wunderwaffen, die Hitler ihnen für den letzten Augenblick versprochen hatte. Erst einige Stunden vor dem Einmarsch der Franzosen ergriff mein Wächter die Flucht. Da ich ohne alle Mittel war, hatte Schmidt  mir versprochen, die letzten Pensionsgelder des Hauses abzuliefern, aber im letzten Augenblick haben wir es vergessen, und ich blieb ohne jeden Kreuzer zurück. Aber meinen Schmuck konnte man vor seiner Abfahrt noch bei ihm abholen, und er wurde dann in diesen unsicheren Zeiten in der Kirche in einem Safe untergebracht.

Der Pfarrhof und die Barmherzigen Schwestern halfen mir überhaupt in allen Stücken, und ich bleibe ihnen immer zu tiefstem Dank verpflichtet. Ullas war nun gegen Ende Mai wohlbehalten hier angekommen, musste aber noch irgendwie kampieren, da die Gestapo-Familien sich ziemlich hartnäckig wehrten, das Haus zu verlassen. Nur die Belgierin war in Erkenntnis der Lage als Erste mit ihrem Kind abgezogen. Da alle Häuser in Stuttgart und Umgebung so schwer mitgenommen waren, konnte ich ja die Frauen mit kleinen Kindern nicht auf die Straße setzen. Die meisten sind im Sommer 1945 und noch länger im Dorf geblieben.

Für meine Enkel musste ja nun allmählich Platz geschaffen werden, und nun kam das schwerste Problem, wo und wie man sie suchen sollte. Ullas hatte erfahren, dass ihr letzter Aufenthalt Bad Sachsa im Harz war. Sie sollten aber im März alle von dort fortkommen unter fremdem Namen mit unbekanntem Ziel. Zum Glück war die Abreise vereitelt worden, denn sie kamen in schwere Tieffliegerangriffe, als sie im Auto von Bad Sachsa nach Nordhausen fuhren. Dort war der Bahnhof zerstört, keine Züge liefen mehr, und sie mussten wieder in ihr Kinderheim zurückfahren. Um aber ge­recht zu sein, muss man sagen, dass sie dort gut untergebracht waren und dass die Kinder auch in späteren Jahren gar nicht mit Grauen an das Heim zurückgedacht haben. Die Leiterin ist zwar fortgegangen, ihrer sehr positi­ven Einstellung wegen, aber eine Lehrerin war sehr liebevoll zu den Kindern und war entschlossen, sie nicht zu verlassen, wie immer es auch kommen sollte. Sie erzählte, dass Franz Ludwig (jüngster Sohn von Claus, geb. 1938) eine Zeitlang für eine Ohrenoperation in Erfurt im Krankenhaus gele­gen war. Der Arzt war sehr lieb und fürsorglich zu ihm, und da hat der kleine Bub leise, aber bestimmt zu ihm gesagt: „Ich bin aber doch ein Stauffenberg."

Anfang Juni haben nun Ullas und Lili sich unter großen Schwierigkeiten ein Auto beschafft. Die deutschen Autos wurden noch überall angehalten und beschlagnahmt, und so hat ein hiesiger Gefangener, der inzwischen Kommandant von Lautlingen geworden war, ein französisches Militärauto zur Verfügung gestellt (nach Auffassung von Frau Melitina Podolinsky handelte es sich um ein privates Fahrzeug). Als sie nun nach Bad Sachsa kamen, fanden sie zunächst das Heim ganz leer. Die Hoffnung schwand schon, die Kinder dort vorzufinden. Erst als sie zum sechsten Haus kamen, hörten sie Kinderstimmen - dann umjubelten und umkreisten die Kinder ihre „Lasli" (sonst auch Ullas genannt; gemeint ist Alexandrine Gräfin Üxküll-Gyllenband, die Schwester Carolines) sofort und ahnten doch auch wohl bald, dass dies für sie die Heimkehr bedeutete. Lili nahm dann die drei Claus-Buben (Berthold, geb. 1934, Heimeran, geb. 1936, und Franz Ludwig, geb. 1938) mit dem Auto zurück, während Ullas einen großen Omnibus ausfindig machte, in dem sie die kleinen anderen Kinder unterbringen konnte.

Eile tat Not, denn die Russen waren schon im Anmarsch, die dortige Gegend zu besetzen. Sie brachte nun zuerst die Hofacker-Kinder (Cäsar von Hofacker, Vetter von Claus von Stauffenberg, ebenfalls am Attentat auf Hitler beteiligt) nach Reichenbach und kam dann nach zwei bis drei Tagen ermüdender Fahrt mit Alfred (geb. 1937, Sohn von Berthold, Carolines ältestem Sohn), Elisabeth (geb. 1939, Schwester des eben genannten Alfred) und Valerie (geb. 1940, Tochter von Claus) hier an. Nun war die ganze Kinderschar wieder hier versammelt. Nur Mika (Frau von Carolines ältestem Sohn Berthold) war nach vielen anderen Konzentrationslagern noch in Capri festgehalten, und Nina (Ehefrau von Claus) war mit der kleinen im Januar (1945 im Gefängnis) geborenen Konstanze in der Nähe von Oberfranken gelandet. Später holten dann Lili und Berthold sie dort ab. - Inzwischen war nun auch Mika hier eingetroffen mit einem Auto, das ihr und einigen Flüchtlingen von Kardinal Faulhaber in München (Erzbischof von München und Freising 1917-1952) zur Verfügung gestellt worden war. Ehe sie aber die Courage hatte, hier einzutreffen, fragte sie in Ebingen an, ob ihre Kinder noch am Leben seien. Wir mussten uns nun alle hier zurechtfinden, getragen von dem Bewußtsein, für die Kinder erhalten worden zu sein. Da der ganze Garten ein Jahr lang von der Gestapo beschlagnahmt und die Ernährung für so viele Menschen zunächst noch sehr schwierig war, hat das ganze Dorf in rührender Weise geholfen, dass die Kinder nicht Not leiden sollten.

Der Müller Schemminger (Klemens Schemminger, geb. 1920, gest. 1975, Inhaber der Oberen Mühle) hat uns immer mit seinem schönen Mehl ausgeholfen, und Milch wurde uns aus vielen Häusern angeboten. Als nun langsam, ganz langsam im Sommer 1945 der Autoverkehr wieder beginnen konnte, haben sich Jettingen, Wilflingen und Geislingen (bis 1805 stauffenbergische Orte, Jettingen und Wilflingen Familiensitze) in großzügiger Weise eingeschaltet. Da ich im Gefängnis geglaubt hatte, sie alle nicht wiederzusehen, waren diese Liebesgaben besonders wohltuend und beglückend.

Der tiefe Zusammenhalt der ganzen Familie hat sich in diesem Unglücksjahr treu bewährt. Meinen Enkeln wird von aller Welt viel Liebe und großes Interesse ent­gegengebracht, aber ich weiß, dass dies sie nicht verwöhnen wird, sondern dass sie der hohen Verpflichtung immer eingedenk bleiben werden, sich des hehren Opfertodes ihrer Väter würdig zu erweisen.


Quellen und Literatur:


    * Theodor Ambacher, Die Landräte und Bürgermeister im Gebiet  

      des Zollernalbkreises 1945-1985, Albstadt-Ebingen 1985.

    * Gerhard Bracke, Melitta Gräfin Stauffenberg. Das Leben einer

       Fliegerin, München 1990.

    * Peter Hoffmann, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und seine

       Brüder, 2. Aufl. Stuttgart 1992.

    * Peter Thaddäus Lang, Der Luftangriff auf Laufen am 22. Februar

      1945, In: Heimatkundliche Blätter Balingen 42, 1995, S. 965-966.

    * Theodor Pfizer, „So vielfach künftige Knaben". Erinnerungen an

      die Jugendjahre der Brüder Stauffenberg. In: Beiträge zur

      Landeskunde 2, April 1975, S. 11-16.

    * Gerd Wunder, Die Schenken von Stauffenberg. Eine

       Familiengeschichte (Schriften zur südwestdeutschen

       Landesgeschichte, 11. Band), Stuttgart 1972.

Caroline Schenk Gräfin von Stauffenberg


Bild: Dr. H.Roesch

* 7.4.1875


Als drittes Kind des Grafen Alfred von Üxküll-Gyllenband und dessen Frau Valerie geb. Gräfin von Hohenthal kommt Caroline in Wien zur Welt


5.7.1877


Der Vater stirbt nach langer Krankheit auf dem Familiengut in Guens


19.3.1878


Auch die Mutter verstirbt, nur ein Jahr nach der Geburt des letzten Kindes


ab 1878


Die Waisen Albertine, Alexandrine, Caroline und Nikolaus werden am württ. Königshof von der Tante Olga Gräfin von Üxküll-Gyllenband (Osch) erzogen.


Später wird auch Caroline in den Hofdienst übernommen und ist Hofdame von Königin Charlotte von Württemberg, sowie auch deren enge Duzfreundin


30.5.1904


Caroline heiratet im fränkischen Greifenstein den Grafen Alfred Schenk von Stauffenberg, den damaligen Vorstand des königl. Marstalls am Hof in Stuttgart


* 15.3.1905


Die Zwillinge Berthold und Alexander erblicken in Stuttgart das Licht der Welt


* 15.11.1907


In Jettingen werden früher als erwartet die Zwillinge Claus und Konrad geboren. Konrad verstirbt wenige Stunden später.


20.1.1936


Graf Alfred verstirbt und wird auf eigenen Wunsch in Lautlingen begraben.


23.7.1944


Verhaftung und Abtransport der Gräfin nach Balingen ins Gefängsnis.


2.11.1944


Rückkehr der Gräfin ins Schloss nach Lautlingen, Hausarrest.


Ihren Lebensabend verbringt die Gräfin im Schloss Lautlingen.


+ 3.6.1956


Gräfin Caroline verstirbt in Lautlingen.


6.6.1956


Beerdigung von Gräfin Caroline an der Seite ihres Mannes Alfred auf dem Lautlinger Friedhof.